Die Wettervorhersage für heute lautet: pluie soutenue. Tolle Aussichten also für unsere heutige lange Etappe. Doch momentan ist es nur kalt und bewölkt, und ich beschliesse, den Regen abzuwarten, bevor ich den Regenschutz hervorkrame. Das Hotel liegt direkt am Jakobsweg, so dass wir rasch aus dem Ort heraus- und in den Weiler Le Coustat hineinkommen, da die beiden verschmolzen sind. Hier beginnt die angenehme Steigung, um wieder auf die Aubrac-Ebene hinaufzukommen. Wie gestern gehen wir Weiden entlang, die Steine der Mauern sind etwas kleiner geworden und auf den Weiden wachsen gelbe Enzianstauden (leider alle schon verblüht) und violett blühende Disteln. Verstreut sind nun kleine Buchenwäldchen oder einzelne Buchen zu sehen.
Die vielen Bächlein, die den Berg herunterfliessen, verwandeln den Weg jedes Mal in ein Morastfeld, sodass wir unsern Weg über Steine und grosse Grasbüschel suchen müssen. Wir quetschen uns durch eine grosse Anzahl verschiedenster Kuhgatter-Schleusen, immer zwischen Stacheldraht geschützt. Bei einer dieser Schleusen, bei der man auf einen Stein und noch etwas höher auf ein nasses Brett (hochkant) steigen muss, um die eigentliche Schranke zu überqueren, bleibt Robin wahrscheinlich am Stacheldraht, der um die beiden begrenzenden Pfosten gewickelt ist, hängen, rutscht aus und stürzt hinunter. Ein leicht verknackster Knöchel und ein scheinbar verstauchter kleiner Finger sind nebst der zerrissenen Jacke die einzigen Folgen. Nun spricht Robin nicht mehr von seiner Jacke, sondern von deren Ueberresten, obwohl ich daheim den Riss praktisch unsichtbar werde flicken können.
Vom höchsten Punkt aus, den wir heute erreichen (1368 müM), haben eine gute Aussicht auf die tief liegenden Wolken. Obwohl wir wissen, dass dies nur ein Vorgeschmack auf den Herbst in Nordwestspanien ist, sind wir nicht unglücklich, gegen das Städtchen Aubrac hinuntersteigen zu können, dessen trutzige Kirche, l’église Notre–Dame-des-Pauvres, und der danebenstehende hohe Turm von weitem auffallen. Der Turm ist dasr einzige Ueberbleibsel einer mittelalterlichen Pilgerherberge, die von Domherren des heiligen Augustinus geführt worden war. Wir sind nun im Département Aveyron angekommen, was uns aufgrund der Beschilderung des Jakobsweges auffällt.
Bei Aubrac steht ein kleiner Tannenwald, doch sobald wir den Pfad dem Berg entlang einschlagen, der eine sachte Neigung aufweist, befinden wir uns wieder in einem Buchenwald. In den Hecken, die sich zwischen dem Stacheldrahtzaun und dem Pfad gebildet haben, wachsen gelbe Enzian (auch sie verblüht), viele lila und violette Erika, Farn und recht hohes Gras. Der Pfad ist eng und die Grashalme, noch nass vom nächtlichen Regen, erfrischen meine Beine zusätzlich. Es ist ein so angenehmer Pfad, dass wir uns daran gewöhnen könnten, obwohl wir wissen, dass dies nicht von Dauer sein kann. Und wirklich, bald münden wir in einen Steinweg ein, der uns nicht mehr sachte, sondern steil talwärts führt. Die kürzlichen Regenfälle haben ihm offensichtlich zugesetzt und ihn noch weiter ausgehöhlt.
Ueber dem verschlafenen Weiler Belvezet thronen die kläglichen Ruinen der Burg der Herren von Belvezet, die im 13. Jahrhundert jemand waren. Bis nach St-Chély-d’Aubrac geht es weiter bergab, manchmal steil, manchmal leicht geneigt auf Asphaltstrassen. In St-Chély gehört die Kirche auch zu einem ehemaligen Priorat, das sich der Pilgerbetreuung gewidmet hatte. Die Kirche hat zwei Querschiffe und zwei Emporen, die vom Eingang her bis zum ersten Querschiff auslaufend den Wänden entlang laufen. Eine Statue des heiligen Jakobus als Pilger steht im Chor. Wir überqueren die alte Brücke über die Boralde mit ihrem alten Steinkreuz, in deren Sockel ein kleiner Pilger abgebildet ist.
Hier beginnt es zu regnen, als wir direkt nach der Brücke wieder bergan steigen. Anstatt der Strasse mit ihren Serpentinen zu folgen, klettern wir in der Falllinie empor, bis der Weg abzweigt und flach durch einen wunderschönen Buchenwald führt. Das braune Laub des letzten Jahres am Boden, darüber die gesprenkelten Stämme und zuoberst das fast hellgrüne Laub. Doch auch dieser Weg artet in einen steilen Steinweg aus, der uns häufig über nackte Felsen führt.
Beim Verlassen des Weilers Cambrassats fällt uns der stümperhafte Heckenschnitt entlang des Weges auf. Die Bäumchen und Büsche sind nicht etwa geschnitten, sondern richtiggehend abgerissen (uns somit ausgefranst) und das Schnittgut liegt immer noch herum. Von unseren ehemals traditionellen Novemberbesuchen in England sind wir uns an das dortige Heckenschneiden gewohnt, das die Hecken zwar zurückstutzt, aber nicht verunstaltet. Nach getaner Arbeit wird das Schnittgut dort auch eingesammelt. Wie wäre es mit ein paar Nachhilfestunden in Häckseln?
Doch unser Weg zweigt wieder ab und da sind sie: die Edelkastanienbäume, deren abgefallene Blätter und Blüten den Waldweg so weich polstern. Hier rasten wir etwas, bevor wir auf einem steilen und steinigen Weg, teilweise über nackte Felsen, weiter talwärts steigen. An und für sich ist dies kein Weg, sondern nach dem Regen der letzten Tage ein Bachbett, schön mit Stacheldraht eingezäunt, damit ja niemand ausweichen kann. Das Schönste am Weg ist die orange Farbe. Ohne grössere Unbill erreichen wir die Furt durch den Bach Cancels. Nach jedem Bach kommt aber wieder eine Steigung. Langsam kennen wir die Regeln. Dieser Aufstieg ist nicht allzu lange und bald geht’s ja wieder zum nächsten Bach hinunter, den wir auf einer alten, vor lauter Vegetation kaum sichtbaren Brücke überqueren.
Nun aber gilt’s ernst: Im Schweisse unseres Angesichtes bezwingen wir die lange, steile und steinige Steigung nach La Rozière und dies in voller Sonne. Dann ist jedoch das Schlimmste geschafft. Schon kurz hinter dem Weiler erhaschen wir den ersten Blick auf St-Chôme-d’Olt (385 müM), das weit unten im Tal liegt. Wir wissen, dass das Kloster, in dem wir ein Zimmer reserviert haben, auf dieser Seite des Ortes liegt und folgen beim Ortseingang der Hauptstrasse, um es nicht zu verpassen. Olt ist übrigens die alte Bezeichnung für Lot.
Das Couvent de Malet ist inzwischen total renoviert worden und heisst jetzt Espace Rencontre Angèle Merici. Es ist ein eindrückliches Bild, das sich uns vom Eingang her bietet und der Empfang ist herzlich und zugleich professionell. Wir werden zu unserem Zimmer geführt, als es zu regnen beginnt; nicht etwa ein bisschen, sondern Bindfäden. (St-Jacques est avec nous!)
So haben wir heute also relativ locker 33 km zurückgelegt. Den Füssen geht es übrigens ganz gut. Meine Löcher von den Kieselsteinen heilen langsam und neue Blasen sind nicht aufgetaucht. (Vielleicht lerne ich auch einfach richtig zu gehen?)
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Today was quite strenuous. On the one hand, the distribution of the accommodation possibilities was such that we had the alternatives of either having an extremely short day or a rather long one. We chose the long version and thus covered today 33 km which took us about 8¾ hours. On the other hand, in the course of the day, we have descended a total of 3’300 feet. As a compensation for our efforts, tonight we will again have a new experience – we will be sleeping in a former convent.
After a cold and rainy night, the weather was cool and cloudy when we left Nasbinals just before 8.30 this morning. Very soon we were away from civilisation and started crossing the high plain towards Aubrac. This high plain is beautiful moorland which is used primarily as pasture. Here we had our third minor mishap of the trip: In crossing one of the stiles separating two such pastures, I managed to slip on the wet wooden bar and perform a backwards somersault. Far from getting high marks for technical merit, I managed to twist my ankle, sprain a joint in the little finger and open the cuff of my anorak. Fortunately, none of these is serious.
The paths across this moor were quite marshy in places, but we managed to traverse them without mishap.
After reaching 4’560 feet, the highest point on our day’s journey we descended to the small town of Aubrac. From here, after a short gentle climb, the descent continued to the picturesque little town of Saint Chély d’Aubrac. Much of this descent was on stony paths, which I personally dislike; it is difficulty to make a steady progress and there is always a real danger of making a wrong step and either falling or twisting an ankle. Very often, these paths doubled up as small rivers, which did not make walking more agreeable.
At the exit from Saint Chély d’Aubrac there is a particularly nice old stone bridge, in the middle of which there is a cross with the sculpture of a praying pilgrim. After this bridge, we began a long climb, first of all along small paths and roads, but then on a wide path through a deciduous forest. This was probably the most agreeable part of the day’s walk.
After practically regaining much of the height that we had lost on our way down to Saint Chély d’Aubrac, we then started to descend, first of all gently, later quite steeply down stony paths down to the river Cancels. Having again reached a minimum of altitude, the path then climbed up to the hamlet of La Rozière. Finally, from here we could begin our long drop (mostly on stony paths) towards our day’s destination, the town of Saint-Côme-d’Olt.
Here we will be spending the night in a former convent, the Couvent de Malet. Here we were received very friendlily and the rooms here would do justice to a first class hotel.
With the exception of a very few drops of rain in the middle of the afternoon, the weather remained dry today, we even had some prolonged sunny spells. Shortly after we arrived a the convent however, it began to rain really heavily; our guardian angel is still watching over us!